Und plötzlich ist alles anders!
Ursprünglich hatte ich für den April ein anderes Thema vorgesehen. Aber wer hat im Moment schon den Kopf frei für Gedanken und Gefühle, die nicht im Zusammenhang mit Covid 19 stehen? Alle müssen sich zwangsläufig auf die veränderten Lebens- und Arbeitsumstände einlassen - ob sie es wollen oder nicht - und dies in einer Schnelligkeit, die atemberaubend ist. Unsere Pläne und Vorstellungen, wie wir mit unserer Zeit umgehen wollten, sind vollständig durcheinander geraten oder sogar über den Haufen geworfen. Wir sind gezwungen, alles Mögliche von jetzt auf gleich zu verändern, sodass die Seele manches Mal Schwierigkeiten hat, das Tempo zu halten - falls sie überhaupt hinterher kommt.
Wie sollen wir begreifen, was da gerade in der Welt passiert? Eine nicht fassbare Gefahr, ein unsichtbares Virus, das man nicht sehen, schmecken oder riechen kann, und das trotzdem alles verändert.
Wir merken es an unserer Sprache. Worte wie "systemrelevante Berufe" oder Abschiedsredewendungen wie "bleib gesund" werden momentan ganz selbstverständlich verwendet, deren Bedeutung noch vor einem Monat niemand geahnt hatte.
Corona trifft alle, aber sehr unterschiedlich. Einige arbeiten am Limit - andere müssen zwangsläufig runter fahren und eine berufliche Auszeit nehmen. Viele müssen finanzielle Einbußen verkraften, ganz abgesehen vom plötzlichen Wegfall einer gern ausgeübten Tätigkeit.
Auf der Straße ist man mit einer Stille konfrontiert, die man nur von Sonntagen kennt. Nur vereinzelt fahren Autos, radeln Menschen, gehen Fußgänger. Alles ist anders - so, als wenn jemand den Stecker gezogen hätte. Spaziergänger tragen Mund- und Nasenschutz, alle halten Abstand, ob im Supermarkt oder auf der Straße, und Vieles wird von vornherein vermieden - vor allem Begegnungen. Und wenn Begegnungen, dann ohne Berührungen, Umarmungen. Lächeln und gezielter Blickkontakt bekommen zwar eine besondere Bedeutung - trotzdem fühlt es sich ganz anders an, manches Mal vielleicht sogar ein bisschen einsam.
Die Notwendigkeit, mit diesen neuen Herausforderungen umzugehen, trotz Kontaktsperre, hat das Telefon wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Die außer-Kraft-setzung unserer gewohnten Sicherheit im Tagesablauf schafft Verunsicherung, und die damit verbundenen Gefühlszustände wollen geteilt werden. Es muss vieles anders gedacht, gehandelt und neu gestaltet werden. Je nach persönlichem Kontext kann das sehr anstrengend sein und macht Austausch wichtig.
Was für ein Geschenk, dass die Sonne scheint, und uns mit ihren wunderbaren Strahlen verwöhnt. Die Blüten und Blätter entfalten sich, ...eigentlich wie immer im Frühling. Und trotzdem fühlt es sich anders an als sonst. Die Leichtigkeit ist etwas weg gerutscht und erschwert es, den Frühling in vollen Zügen zu genießen.
Natürlich gibt es viele Menschen auf dieser Welt, die mit weitaus schwierigeren Situationen zurecht kommen müssen. Und dies nicht nur jetzt. Und totzdem muss jede/r, und ist der eigene Cosmos noch so klein, damit einen Umgang finden.
Vielleicht kann der Satz von Hildegard von Bingen: "Pflege das Leben, wo du es triffst", in diesen Zeiten eine Hilfe sein? Vielleicht sogar eine Strategie, um mit vermeintlichen Ängsten und Sorgen umzugehen? Vielleicht kann der Inhalt dieses Satzes dazu beitragen, mit unserer gefühlten Ohnmacht in Verhandlung zu treten? Vielleicht gelingt es uns, uns mehr auf das Positive und Wesentliche zu fokussieren? Die vor Corona als Selbstverständlichkeit wahrgenommenen Rahmenbedingungen unseres Lebens wieder neu wahrzunehmen und ihnen mehr Wert und Qualität einzuräumen? Vielleicht bekommen wir eine andere Sicht auf Zeit und Geld? Vielleicht ist uns erst jetzt klar, was Solidarität und Hilfsbereitschaft bedeutet? Vielleicht bekommen gerade durch die körperliche Distanz Berührungen einen neuen Stellenwert? Vielleicht merken wir jetzt besonders, bei wem es uns schwer fällt, auf Umarmungen zu verzichten? Vielleicht lernen wir in dieser herausfordernden Zeit Menschen neu kennen? Vielleicht spüren wir erst jetzt, bei wem wir uns besonders verstanden und aufgehoben fühlen?
In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich von diesen Zeilen angesprochen fühlen, konstruktive Gedanken und vor allem eine gesunde Ruhe.
Birgit Weinand