Wie uns Corona verändert und welcher Umgang hilfreich ist?
Auch der Mai ist noch geprägt durch Corona. Wir sind mitten im Prozess. Unser Gehirn und unser Herz müssen immer wieder rasant schnell eine ungeheure Anpassungsleistung hinlegen und sich auf veränderte Deutungen und Bewertungen einlassen. Wir nehmen es mit Vernunft auf, aber dennoch ist es manches Mal irritierend.
- Noch vor einigen Wochen hätte man bei zwei sich aufeinander zu bewegenden Händen lediglich eine Begrüßung assoziiert. Eine Geste der Freundlichkeit und Wertschätzung, vielleicht auch der Versöhnung oder des Besiegelns eines Vertragsabschlusses. Heute erleben wir bei der Betrachtung eher den sofortigen Impuls der Zurückhaltung. Gedanken wie "Virenschleuder", "Ansteckungsgefahr", "Vorsicht!", "bloß nicht!" stehen nun im Vordergrund. Wie die Bedeutung von einer bislang kulturell ganz selbstverständlichen Umgangsform sich ins Gegenteil verkehrt hat. Die Nähe ist zur Bedrohung geworden.
- Vor Corona verbanden wir das Tragen eines Mundschutzes mit einer Person, die möglicherweise über ein schwaches Immunsystem verfügt. Inzwischen fallen uns im Supermarkt eher die Personen auf, die keinen Mundschutz tragen. Abgesehen davon, dass ausgerechnet ein Hygieneartikel plötzlich zum Modeaccessoire geworden ist. Wie unsere Wahrnehmung von Bekleidung sich verändert hat.
- Ein Gespräch, in dem Corona als Thema gar nicht vorkommt, ist kaum vorstellbar. Das Virus bzw. die damit verbundenen Gedanken haben in jedem Gespräch, sei es mit Familie, Freunden, Bekannten, KollegInnen einen festen Zeitanteil eingenommen. Sicherlich dient es uns zur Verarbeitung und Entlastung. Es hat aber manches Mal auch einen nicht zu unterschätzenden, die Psyche beschwerenden Anteil, indem wir permanent um dieses Thema kreisen, wie kein anderes.
- Und wie sich innerhalb kürzester Zeit unser aller Zeitempfinden verschoben hat. Objektiv haben wir bei uns dieses Virus erst vor einigen Wochen kennen gelernt, subjektiv begleitet es und schon eine Ewigkeit - und es fehlt jegliche Vorstellungskraft, wann wir wieder annähernd zur Normalität zurückkehren können. Möglicherweise bleibt es auch genau so und gestaltet sich zu unserer zukünftigen Normalität.
Es ist erwiesen, dass ein Mensch umso glücklicher ist, je mehr seine Persönlichkeitsanteile miteinander in Harmonie leben. Ein Mensch fühlt sich zerrissen und fremdbestimmt, wenn er starke, nicht integrierbare oder im Konflikt stehende Teile in sich trägt.
Das bedeutet, dass es uns besser geht, wenn wir diese in unserem Leben gerade nicht freiwillig gewählten Veränderungen versuchen, behutsam anzunehmen und in unser System zu integrieren. Es hilft mehr, die aktuellen Einschränkungen, Ängste, Verluste von Nähe, ... aktiv zu betrachten, und mit Wohlwollen zu überlegen, wie ich von den fremdbestimmten Vorgaben in eine gute Haltung der Annahme komme. Es ist wichtig, dass wir regelmäßig in uns hinein hören, und in Ruhe kreative Alternativen für das versuchen zu finden, was uns fehlt, uns drückt, uns Sorgen bereitet, sodass wir uns wieder gut und stimmig anfühlen.
Vielleicht können wir, allerdings nur mit Menschen, die uns gut tun, in diesen Zeiten starker Verunsicherung, Sicherheit durch einen bewussten Gedanken- oder Sorgenaustausch erlangen? Vielleicht reflektieren wir noch einmal genau, woran wir erkennen, wann uns das Thema zu viel wird und uns stattdessen eine Auszeit besser täte? Je schneller wir den Punkt erkennen, je besser können wir für uns sorgen.
Vielleicht fallen uns Rituale ein, die wohltuend sind, Struktur schaffen und unsere innere Stabilität fördern?
Vielleicht können auch andere Formen oder Gesten den nötigen Halt geben, ersatzweise Nähe schaffen und uns die Intensität unserer Beziehungen trotzdem gut spüren lassen?
Vielleicht überlegen wir uns gezielt Symbole, die uns hilfreich erscheinen, um unseren Ängsten Paroli zu bieten?
Vielleicht können wir der momentanen Entschleunigung auch etwas abgewinnen und die Langsamkeit wertschätzen, ohne in Lethargie zu verfallen, weil kein Ende in Sicht ist?
Ich wünsche Ihnen natürlich wieder von ganzem Herzen eine gute, harmonische und gesunde Zeit
Birgit Weinand